60 Jahre lang kam das Erdöl über die mehr als 5000 Kilometer lange Druschba-Pipeline direkt aus Sibirien nach Schwedt an der Oder in das Erdölverarbeitungswerk, die heutige PCK-Raffinerie. Seit Januar 2023 hat sich Deutschland zu einem Ölembargo gegen Russland verpflichtet. Und wie geht es in Schwedt weiter, wenn die Raffinerie als Hauptarbeitgeber kein russisches Erdöl mehr bekommt? Das fragen sich viele in der Stadt.
Silvio Moritz, stellvertretender Bürgermeister in Schwedt, gibt zu, dass die politische Weltlage die Stadt und vor allem die Industrie rund um die Raffinerie in große Schwierigkeiten gebracht hat. „Aber hier gehen die Lichter nicht aus“, ist er überzeugt. Für ihn steht fest: „Schwedt kann Wandel.“ Das habe die Stadt schon mehrfach bewiesen.
Nach dem zweiten Weltkrieg hat sich Schwedt von einer kleinen uckermärkischen Tabakstadt zu einer der bedeutendsten Industriestädte in der damaligen DDR entwickelt. Nach 1990 kam die zweite Transformation: Die Erdölraffinerie und die Papierindustrie überlebten. Die Arbeitsplätze bei PCK reduzierten sich allerdings 8000 zu Wendezeiten auf heute 1200. Gleichzeitig siedelten sich mittelständische Betriebe als Dienstleister und Zulieferer für PCK an und schufen neue Arbeitsplätze. Die Einwohnerzahl reduzierte sich von über 50000 auf 34000. Wohnblöcke wurden abgerissen, Siedlungen mit Einfamilienhäusern sind entstanden.
Und jetzt steht die dritte große Transformation an. Moritz stellt klar, dass die Transformation nicht erst mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine begann. „Dadurch wird der ganze Prozess nur beschleunigt.“ Schon vorher habe sich die Stadt und vor allem die ansässigen Unternehmen auf den Weg gemacht, vom Erdöl als fossilem Energieträger wegzukommen. Schon vor 2022 gab es eine Strategie zur Produktion von grünem Wasserstoff.“ Moritz ist seit eineinhalb Jahren im Amt. „Ich bin angetreten, um diese Transformation von Seiten der Verwaltung zu begleiten und zu unterstützen.“ Jetzt muss er einen Turbogang einlegen. „Nein, wir haben uns nicht zu spät auf den Weg gemacht“, begegnet er möglicher Kritik. „Aber jetzt stehen wir unter großem zeitlichen und wirtschaftlichen Druck.“
Philip Pozdorecz sieht als Wirtschaftsförderer seine Aufgabe darin, innovative Unternehmen, die die Transformation vorantreiben wollen und können, zu überzeugen, dass Schwedt ein guter Standort sei. „Dafür stellen wir Innovationsinfrastrukur bereit.“ Konkret heißt das, dass in Schwedt ein Innovationscampus mit mehreren Standorten aufgebaut wird. Hier sollen Start-ups anwendungsorientierte Forschung betreiben können. Pozdorecz berichtet zum Beispiel von zwei Firmen, die in einer alten Industriehalle zu neuen Fasern aus ungenutzten Zellulosefasern aus der Landwirtschaft oder aus wiedervernässten Mooren forschen. Ziel ist es, zukunftsfähige und ressourcenschonende Materialien für die Papierindustrie und nachhaltige Verpackungsalternativen aus Agrarabfällen zu entwickeln.
Pozdorecz weiß, dass in Schwedt nicht alle so optimistisch in die Zukunft blicken. Gerade bei der älteren Generation sei die Verunsicherung groß. Aber wir wollen der jungen Generation zeigen, dass sie hier vor Ort Chancen haben. Bei den jungen Führungskräften und Ingenieur*innen in den Industriebetrieben sei das angekommen. Dort wird an der Zukunft gearbeitet und es ist klar, dass es kein Zurück mehr zu fossiler Energie gibt. „In Schwedt entsteht zum Beispiel ein Standort, an dem Grüner Wasserstoff durch Elektrolyse unter Verwendung von Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird. Das ist unsere Zukunft und daran arbeiten wir.“
Pozdorecz berichtet von einer Kooperation von PCK und dem Energieunternehmen Enertrag, das ausschließlich erneuerbare Energien produziert. Gemeinsam wollen sie die Raffinerie so weiterentwickeln, dass sie die fossilen Ausgangsprodukte nicht mehr braucht.
Der Wirtschaftsförderer stellt aber auch klar, dass die ehrgeizigen Ziele der Industrie hinsichtlich Klimaneutralität nur erreicht werden können, wenn die Unternehmen wirtschaftlich bleiben. „Deshalb ist das Hochfahren der Raffinerie nach dem Erdölembargo Garant und Voraussetzung für die Transformation.“ Nur aus einer wirtschaftlichen starken Position heraus könne die Entwicklung gelingen. Deshalb gehe es in Schwedt und in der Region nicht nur um den Ausbau von erneuerbaren Energien, sondern um die Sicherung des Industriestandortes. „Dafür brauchen wir kluge Köpfe und Investitionen in die Zukunft.“
An Argumenten für Schwedt fehlt es nicht: Hier liegt der einzige Nationalpark Brandenburgs. Schwedt ist der größte Industriestandort Brandenburgs mit der höchsten Wirtschaftsleistung. Schwedt liegt gleich in zwei Metropolregionen: Berlin/ Brandenburg und Stettin. Das Entwicklungspotenzial ist groß. „Schwedt kann Wandel.“ Das muss die Stadt jetzt beweisen.