Save Oder Die

Es ist Mitte Juli, es ist heiß und trocken. Einige Gäste entspannen im Schatten, andere genießen frisch zubereitete Palatschinken mit frischen Erdbeeren, einige Kinder vertreiben sich die Zeit mit den Kaninchen, hier und da wird gewerkelt, die ersten Fahrradfahrer kommen erhitzt an, um ihr Zelt für das Nachtquartier aufzubauen. Steffi Bartel koordiniert freundlich und gelassen alle Wünsche. Gemeinsam mit ihrem Mann Norbert hat sie vor 19 Jahren den Naturerlebnishof in Kienitz im Oderbruch gegründet. „Wir hatten öfters schwere Zeiten, aber nach dem Fischsterben im letzten Sommer kämpfen wir ums Überleben – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch um unsere Existenz an der Oder.

„Wir sind beide Flussmenschen“, erläutert Steffi. „Norbert ist hier in Kienitz aufgewachsen, ich an der Spree. Angeln, Kanufahren und Baden im Fluss gehörten zu unserer Kindheit.“ Die beiden wollten zurück an den Fluss. Als Landschaftsplaner und ausgebildete Natur- und Wildnispädagogen kauften sie ein Loose-Gehöft mit zwei Hektar Land direkt am Deich in Kienitz.  Steffi erläutert, dass ‚Loose‘ eine im Oderbruch ortsübliche Bezeichnung für eine außerhalb der Ortsgrenzen gelegene Wohnsiedlung ist, die nach der Trockenlegung des Oderbruchs entstand. So nannten sie ihr neues Zuhause „uferloos“.  „Wir gestalteten das Grundstück, pflegten den alten Baumbestand, legten einen neuen Kräuter- und Beerengarten an, schafften Platz für Zirkuswagen und eine Zeltwiese und einen großen überdachten Treffpunkt als Mittelpunkt.  „Das alles war nur möglich, da wir viel Unterstützung von Freunden und ehrenamtlichen Helfern hatten und weil Norbert einen krisenfesten Job in der Verwaltung in Frankfurt (Oder) hat.

„uferloos“ ist einerseits ein touristisches Projekt mit Übernachtungsmöglichkeiten, Gastronomie sowie erlebnispädagogischen Angeboten für Gruppen mit Kanu, Fahrrad oder zu Fuß.  „uferloos“ setzt sich aber auch aktiv für Naturschutz und für den Erhalt des Oderbruchs ein. Von Anfang an ist der Naturerlebnishof Infopunkt des BUND. Die politische Arbeit hat im letzten Sommer eine neue Dimension bekommen. „Während des Fischsterbens haben wir mit Freunden, Gästen und Partnern die Bürgerinitiative ‚Save Oder Die‘ gegründet.“ Die 55-Jährige erzählt von künstlerischen Aktionen zur Katastrophe. „Mit roten Scheinwerfern haben wir das Wasser und tote Fische blutrot angeleuchtet.“ Sie zeigt eindrucksvolle Fotos. „Es gab Theater am Fluss. Wir haben eine große Aktion entlang des Flusses länderübergreifend von der Quelle bis zur Mündung organisiert: Zu einem bestimmten Zeitpunkt waren Menschen aufgerufen, am Fluss Musik zu machen.“

Steffi sieht einen positiven Effekt in der Katastrophe des letzten Sommers: Die Oder und der geplante Oderausbau sind mehr in den Fokus gerückt. Umweltverbände haben sich besser kennengelernt und arbeiten intensiv zusammen. „Unsere Bürgerinitiative ‚Save Oder Die‘ lädt alle zwei Wochen zu Strategiesitzungen ein. Da trifft sich geballte Energie und auch viel Fachwissen.“  Steffi freut sich, dass auch Umweltschützer aus Polen in dem Netzwerk mitarbeiten, auch wenn die Zusammenarbeit aufgrund von Sprachproblemen nicht immer einfach ist.

Was passiert in diesem Sommer? „Noch gehe ich jeden Tag im Fluss baden. Das mache ich so lange keine toten Fische zu sehen sind.“ Steffi beobachtet, dass zwar die Fische zurückgekommen sind, aber dass es deutlich weniger Muscheln gibt. Niemand hofft, dass sich diese Katastrophe wiederholt, aber es herrschen die gleichen Bedingungen wie im letzten Jahr: hoher Salzgehalt im Wasser, Hitze und wenig Wasser im Fluss. „Wir überlegen, mit welcher Aktion wir auf eine zweite Katastrophe reagieren könnten, und hoffen gleichzeitig, dass das nicht passiert.“

Fotos von der Kunstaktion während des Fischsterbens in der Oder: Dana Bormann und Sander Bartel

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