Mit dem Kutter zwischen Polen und Deutschland

Mehrmals täglich pendelt Kutter Lütt Matten grenzenlos von Deutschland nach Polen und zurück. Der fast 70 Jahre alte Krabbenkutter fährt als Fährschiff zwischen Altwarp in Deutschland und Nowe Warpno in Polen hin und her. Die Strecke beträgt etwa 1500 Meter und dauert gut zehn Minuten. Eine Touristenattraktion im Süden des Stettiner Haffs, wo es sonst außer Wasser, Wald und Natur nicht viel mehr gibt.

„Wir wollten dort arbeiten, wo wir leben. Arbeitsplätze gibt es hier wenig, also haben wir uns selbst etwas aufgebaut“, erklären Christine und Martin Bocklage aus Altwarp am nordöstlichsten Festlandspunkt Deutschlands. Wichtig war beiden auch, dass sie neben ihrem Job auch Zeit für die Familie haben. Martin, 40 Jahre, hat Schiffsmechaniker gelernt und Nautik studiert. Jahrelang hat er auf Hafenschleppern in verschiedenen Häfen gearbeitet und kam nur am Wochenende nach Hause. Christine, 38 Jahre, hat in der Hotellerie gelernt und gearbeitet. „Aber auf Hotel hatten wir beide keine Lust, deswegen wurde es ein Fährbetrieb.“ 2010 kauften sie den alten Fischkutter mit Holzdeck und bauten ihn zu einem Fährschiff um. Seit 2011 fahren sie von April bis Oktober überwiegend Touristen von Altwarp nach Nowe Warpno und zurück. Jeder Handgriff sitzt bei Christine und Martin. Ruhig und entspannt gehen sie ihrer Routine nach, während die Gäste auf den Holzbänken des historischen Fischkutters sitzen und den Blick über das Wasser schweifen lassen. Ein paar freundliche Worte zur Begrüßung und zum Abschied gehören zum Service für die Touristen dazu. „Unser Vorteil ist, dass wir diesen Fährbetrieb zu zweit regeln können und keine Mitarbeiter brauchen. Aber krank werden, dürfen wir auch nicht“, so Martin.  

Sowohl Altwarp als auch Nowe Warpno sind kleine Fischerdörfer. Sie liegen beide am Südufer des Stettiner Haffs auf Halbinseln am Zugang zum Neuwarper See. Die Grenze zwischen Polen und Deutschland verläuft hier als Seegrenze durch das Stettiner Haff. Es gibt keine großen Hotels, dafür viel Natur mit Wasser und Wäldern.  „Wir sind die einzige Attraktion in den beiden Fischerdörfern“, so Martin Bocklage selbstbewusst. „Deshalb fahren wir auch nur von Mittwoch bis Sonntag. Touristen haben Zeit, die müssen nicht Montag fahren, sondern können bis Mittwoch warten.“

„In den 1990er Jahren gab es von Altwarp nach Nowe Warpno einen regen Butterschiffsverkehr“, erzählt Martin. An manchen Tagen seien 5000 bis 7000 Menschen täglich nach Polen auf den Polenmarkt in dem kleinen Fischerdorf geströmt. Er schätzt, dass auf beiden Seiten jeweils über 100 Arbeitsplätze an diesem Einkaufstourismus hingen. „Die Menschen wurden mit Bussen an den kleinen Hafen gefahren“, erinnert sich Martin. „Das brachte viele Gäste in die Grenzregion und beide Orte haben stark davon profitiert.“ Während Kutter Lütt Marten, der für etwa 30 Gäste Platz bietet, in der Saison sechsmal pro Tag hin und her fährt, habe es damals jeweils 56 Schiffsabfahrten auf jeder Seite gegeben. Damit war 2004 mit dem Beitritt Polens in die EU schlagartig Schluss, denn es gab keinen zollfreien Einkauf mehr. Das Geschäftsmodell „Butterfahrt“ hatte sich erledigt, auch zwischen Altwarp und Neuwarp und es wurde wieder ruhig in den Fischerdörfern.

Christine und Martin mögen ihr Schiff und auch ihre Arbeit auf dem Schiff. „Solange wir nicht an Ämter und Behörden denken, macht uns das richtig Spaß hier“, so der Kapitän, während er in seiner Steuerkajüte entspannt sitzt und mit den Füßen das Steuerrad bedient. „Es ärgert mich schon manchmal, dass wir sowohl in Deutschland als auch in Polen Gebühren pro Fahrgast zahlen müssen.“ Viele Touristen kämen nur hierher, um mit der Fähre zu fahren. „Eigentlich müssten wir unterstützt werden, da wir den Tourismus in den beiden Orten am Leben halten.“

Die Bocklages bieten mit ihrem 14 Meter langen Kutter auch Rundfahrten auf dem Stettiner Haff teilweise mit Schaufischen an. „Und dann kann man uns für alle möglichen Anlässe von Hochzeiten über Betriebsfeiern bis Bestattungen buchen“, so Christine. „Seebestattungen sind ein wichtiger Zweig für unseren Betrieb. Wir machen ungefähr 100 pro Jahr.“ 

Die Bocklages wollen ihren Betrieb noch erweitern. Sie haben ein zweites Schiff gekauft. „Das ist größer und hat zwei Salons“, so Martin. „Dann können wir auch mit größeren Gesellschaften auf das Stettiner Haff fahren. Außerdem sind wir dann wetterunabhängig und können die Saison verlängern“, ergänzt Christine. Ende des Jahres soll das Fahrgastschiff „Nordost“ den Betrieb aufnehmen. Sie plant schon Glühwein- und Tanzfahrten auf dem Haff.  „Ja, ich bin ein Multitalent. Von Gastronomie über Schiffsführerin bis Bestatterin, mache ich alles“, so die gelernte Hotelfachfrau. „Und ich bin auch noch Mutter“, so Christine, während sie die Seile löst und der Kutter wieder mit Touristen über die Seegrenze fährt.  

Weitere Beiträge

Das Cover ist fertig

Mein Buch zu meiner journalistischen Reise mit dem Fahrrad an der deutsch-polnischen Grenze in diesem Sommer ist in Arbeit. Der Verlag Andreas Reiffer hat den

Weiterlesen »

Ein Ort zum Geschichten Sammeln

Monika Szymanik sammelt Geschichten. „Und es kommen immer mehr Geschichten auf mich zu“, so die 47-Jährige in ihrem kleinen Café in der Stettiner Altstadt. „Zuerst habe ich mich nur in den Fußboden verliebt und hätte mir nie träumen lassen, welche Schätze hier verborgen sind. Und jetzt ist dieser Ort mein Leben, in dem ich alles verbinden kann, was mir wichtig ist: Bücher, Kaffee, Begegnungen mit Menschen und deren Geschichten.

Weiterlesen »

Spitzenforschung in Görlitz

In Görlitz am Untermarkt sitzen Wissenschaftler*innen aus aller Welt zusammen und arbeiten interdisziplinär an aktuellen globalen Herausforderungen. „Wir arbeiten mit Datenbanken und haben Zugriff auf die schnellsten Supercomputer der Welt, aber wir sind kein reines IT-Institut“, stellt Dr. Michael Bussmann, Gründungsbeauftrager des Casus in Görlitz klar. CASUS steht für Center for Advanced Systems Understanding. Das Zentrum für datenintensive Systemforschung wurde nach einer Projektphase 2022 als polnisch-deutsches Forschungszentrum in Görlitz gegründet. Gearbeitet wird an Fragen aus Physik, Biologie, Medizin, Krebsforschung, Management von Pandemien oder Klimawandel.

Weiterlesen »
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner