Liederlauschen im Oderbruch

Es ist heiß im Oderbruch. Während die Besucher und Besucherinnen des Festivals „Liederlauschen am Rand“ im Schatten abhängen, sind Christian Eckert und Lea Dittbrenner unentwegt auf dem Festival-Gelände unterwegs – zwischen Bühne und Backstage, zwischen Künstler*innen aus Polen und Deutschland, zwischen Gästen, Familie und Freunden, mit Handy und im Gespräch. Sie organisieren, koordinieren, wirken dabei entspannt und scheinen „Ihr“ Festival auch gleichzeitig zu genießen.

Es ist das fünfte „Liederlauschen am Rand“ im Oderbruch. Durch Zufall kamen Christian und Lea in das Theater am Rand, ein privates Theater 300 Meter vom Oderufer entfernt. „Wir haben den Ort gesehen und waren verzaubert. Dieser Blick in die Weiten der Landschaft“, schwärmt Christian heute noch.“. Die beiden kamen mit den verantwortlichen Künstlern von „Theater am Rand“ ins Gespräch. „Hier müsste man mal ein Festival veranstalten.“ 2018 gab es ein eintägiges Festival als „Labor“. 2019 ging es los: Das erste Liederlauschen von Freitag bis Sonntag mit Musik- und Mitmachprogramm inklusive Zeltwiese und Vollverpflegung. „Das war schon eine Herausforderung für alle – für uns als Veranstalter und für die Gäste.“

Musikfestivals sind für Christian, Sprecher und Schauspieler, und Lea, Kulturwissenschaftlerin, kein Neuland. Seit 15 Jahren organisieren sie im Prenzlauer Berg in Berlin einmal im Jahr ehrenamtlich das ursprüngliche Liederlauschen-Musikfestival. „Wir wollten in unserem Wohnviertel etwas bewegen und die Nachbarschaft zusammenbringen. Und es macht uns ganz einfach Spaß.“ Das Festival in Berlin gibt es immer noch, aber nur für einen Tag. „Zwei mehrtägige Festivals neben unseren Jobs schaffen wir nicht.“

Das Besondere an diesem Ort an der Oder, etwa 50 Kilometer von Berlin entfernt, ist für Christian und Lea, die Landschaft und die unmittelbare Nähe zur polnischen Grenze. „Das Oderbruch hört nicht an der Oder auf. Von daher haben wir das Festival von Anfang an als deutsch-polnisches Projekt gesehen“, erklärt Christian. Ein Glücksfall sei es gewesen, das polnische Musikfestival „Wake-up and Live“ in Sulęcin, ein kleiner Ort knapp 50 Kilometer östlich von Frankfurt (Oder), als Partner zu gewinnen. „Darüber bekamen wir Kontakte zu polnischen Bands und vor allem Einblick in die polnische Kulturszene sowie die Art zu kommunizieren.“ Lea ergänzt: „Bei polnischen Bands ist ‚Liederlauschen‘ mittlerweile bekannt, so dass wir viele polnische Künstler*innen im Programm haben.“ Etwas schwieriger sei es allerdings, auch Festivalbesucher aus Polen über die Oder zu locken. „Bands bringen oft Fans mit, aber Einzelbesucher aus Polen haben wir bisher kaum“, erklärt Lea. „Aber daran arbeiten wir.“

Etwa die Hälfte der Besucher*innen kommt aus Berlin, ein Viertel aus ganz Deutschland und ein Viertel aus der Region, so die Schätzungen. An diesem Wochenende sind es etwa 500 Gäste.  Der Fokus liegt nicht auf Wachstum. „Ein paar mehr Gäste könnten es noch werden, aber wir wollen klein bleiben, damit es zu dem Ort passt.  Damit ‚Liederlauschen‘ Zukunft hat, muss sich allerdings die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen, sind sich Christian und Lea einig. „An den Haupttagen haben wir ein Team von etwa 40 ehrenamtlichen Helfer*innen. Unser Kernteam, das sich das ganze Jahr um das Festival kümmert, besteht aber nur aus drei bis fünf Menschen. Das ähnelt manchmal einem Halbtagsjob und geht an die Belastungsgrenze.“  „Wir sind für das Festival etwa zwei Wochen hier vor Ort – eine Woche zum Vorbereiten und eine Woche zum Abbauen“, ergänzt Lea. „Ohne Unterstützung der Großeltern, die sich um unsere beiden Kinder während der heißen Phase des Festivals kümmern, könnten wir das nicht leisten“, weiß Christian.

Liederlauschen ist ein familienfreundliches und nachhaltiges Festival. Fast ein Drittel der Gäste sind Kinder. Ein großes Familienareal mit Mitmachaktionen zu Kunst, Kultur, Musik und Bewegung begeistert Jung und Alt. Das Polenmobil (lest dazu den letzten Blogbeitrag) macht neugierig auf das Nachbarland und die historische Feuerwehr aus der Region sorgt für Abkühlung.

Christian und Lea blicken optimistisch in die Zukunft und sind überzeugt, dass das Festival mit jedem Jahr etwas Polnischer wird. „Wir wollen Brücken bauen zwischen Stadt und Land, zwischen Polen und Deutschland“, sagt das Paar aus dem Prenzlauer Berg im Oderbruch. 

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