„Wir haben viel erreicht“, so Bollmann. Er zählt einiges auf: eine grenzüberschreitende Buslinie, ein gemeinsames Fernwärmenetz, eine deutsch-polnische Tourist-Information, Schiffsverbindungen über die Oder, zweisprachige Kitas und Schulklassen sowie die Europa-Universität Viadrina und das Collegium Polonicum mit Studierenden aus über hundert Ländern. „Es könnte natürlich immer mehr sein und es könnte auch schneller gehen.“ Die Kooperation der beiden Städte läuft auf allen Ebenen – egal ob Senioren, Schulen oder Kultur „und wir sind immer dabei, um anzustoßen oder zu vermitteln.“
Dass sich beide Städte vor über zehn Jahren darauf einigen konnten, ein gemeinsames Büro für die Kooperation und Belange der Doppelstadt einzurichten, wertet Bollmann als klares Bekenntnis für das Zusammenwachsen beider Städte. „Ich arbeite täglich mit meinen polnischen Kolleginnen und Kollegen zusammen, aber noch gibt es rechtlich zwei Kooperationszentren, also ein polnisches und ein deutsches. Wir planen nach europäischem Gesellschaftsrecht einen ‚Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit‘ zu gründen. Eine gemeinsame Rechtsform würde die Zusammenarbeit in vielen Bereichen vereinfachen.“
„Es gibt wenig Menschen, die die offenen Grenzen nicht schätzen“, ist sich Bollmann sicher. Wie eng die Verflechtung zwischen den beiden Städten wirklich sind, habe sich während der Coronapandemie gezeigt, als die Grenzen über Wochen geschlossen wurden. „Für Arbeitnehmer, Schüler, Studierende, Familien und Unternehmen war das eine Katastrophe.“ Aufgrund der unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Polen und Deutschland gibt es einen regen Austausch zwischen beiden Städten. Aus Polen kommen die Menschen nach Deutschland zum Arbeiten. Deutsche fahren zum Tanken und Einkaufen über die Stadtbrücke. Aber auch Polen kommen zum Restaurantbesuch und zum Einkaufen nach Frankfurt. Kinder und Jugendliche besuchen Schulen und Kitas auf der jeweils anderen Seite. Familien und Freunde treffen sich – mal da, mal dort. Auf der Stadtbrücke ist also immer etwas los.
Einen gemeinsamen grenzüberschreitenden Stadtraum zu entwickeln, ist für Bollmann der nächste große Schritt in der Zusammenarbeit. „Wir müssen beide Innenstädte als eine Einheit sehen und denken.“ Menschen einer Stadt halten sich in der Regel gerne an ihrem Fluss auf. Das ist in der Doppelstadt Frankfurt (Oder)/Słubice nicht anders. Auf beiden Seiten laden Promenaden, Sitzbänke, Cafés und Restaurants ein. Aber der Fluss ist zugleich eine Landes-, Sprach- und Währungsgrenze. „Eigentlich könnte die Brücke über die Oder für beide Städte der schönste Ort sein, aber gleichzeitig ist er ein großer Transitbereich für Autos“, so Bollmann. „Also müssen wir auch den Verkehr mitdenken und überlegen, wie wir den Verkehr aus der Innenstadt bekommen und umleiten.“
Zu Bollmanns Aufgaben in der Stadtverwaltung gehört es auch, ein Netzwerk zu anderen Doppelstädten in Europa, beispielsweise an der Finnisch-Schwedischen, Deutsch-Französischen, Polnisch-Tschechischen oder an der Italienisch-Slowenischen Grenze, aufzubauen und zu pflegen. „Dieser Erfahrungsaustausch ist für uns sehr wichtig und hilfreich, denn die Probleme und Herausforderungen sind überall ähnlich.“ Er erzählt von Treffen und Exkursionen in die verschiedenen Doppelstädte. „Wir kommen immer mit Ideen für Frankfurt/Słubice zurück und geben auch umgekehrt Impulse an andere Städte.“
Der Psychologe, der aus dem Ruhrgebiet stammt, hat sich vor 23 Jahren bewusst für die damalige Grenzstadt und heutige Doppelstadt als Lebens- und Arbeitsraum entschieden – nach Stationen in Brüssel, Nordfrankreich, Berlin und Poznań. Zunächst hat er sich gemeinsam mit seiner Frau mit Beratung, Coaching und Training für deutsch-polnische Angelegenheiten selbstständig gemacht. Das Unternehmen führt seine Frau, während er im Auftrag der Stadt Brücken baut und immer mehr Verbindungen zwischen den Städten knüpft.
Bollmann hofft, dass Zwei- und Dreisprachigkeit in Zukunft in der Doppelstadt noch selbstverständlicher wird. „Mit einem internationalen Image könnten wir auch noch mehr internationale Familien und Unternehmen hierherlocken, die Frankfurt/Słubice so dringend braucht.“ Für Bollmann ist die Doppelstadt „ein kleines liebenswertes Europa“. Als Krimischriftsteller hat er die Doppelstadt auch zum Schauplatz seiner Krimis werden lassen. Und in seinem neuen Roman „Himmel über Europa“ treffen sieben Europäer aus sieben verschiedenen Ländern in Brüssel aufeinander… Ein überzeugter Europäer in Frankfurt (Oder), der Frankfurt und Słubice als Einheit denkt – ohne Grenzen – bez granic.
Anmerkung: Im Moment ist die Grenze in Frankfurt/Słubice deutlich sichtbar. Die Bundespolizei ist an der Stadtbrücke präsent und macht stichprobenartige Kontrollen.