Spitzenforschung in Görlitz

In Görlitz am Untermarkt sitzen Wissenschaftler*innen aus aller Welt zusammen und arbeiten interdisziplinär an aktuellen globalen Herausforderungen. „Wir arbeiten mit Datenbanken und haben Zugriff auf die schnellsten Supercomputer der Welt, aber wir sind kein reines IT-Institut“, stellt Dr. Michael Bussmann, Gründungsbeauftrager des Casus in Görlitz klar. CASUS steht für Center for Advanced Systems Understanding. Das Zentrum für datenintensive Systemforschung wurde nach einer Projektphase 2022 als polnisch-deutsches Forschungszentrum in Görlitz gegründet. Gearbeitet wird an Fragen aus Physik, Biologie, Medizin, Krebsforschung, Management von Pandemien oder Klimawandel.

Görlitz als Standort ist nicht zufällig gewählt, liegt die Kleinstadt doch zwischen Dresden und Breslau. Die Universitäten beider Städte sind Partnerinnen des Wissenschaftsprojektes. Bussmann ist begeistert von dem Standort. Die astronomische Uhr am Rathausturm aus dem 16. Jahrhundert in unmittelbarer Nähe des Casus-Instituts ist für ihn ein Zeichen, dass Görlitz auch früher schon Wissenschaftsstadt war. „Und jetzt machen wir hier datenbasierte, digitale Systemforschung in unterschiedlichen Bereichen.“

Die Skepsis war am Anfang groß, dass es gelingen würde, internationale Spitzenforscher*innen in die gemeinsame Europastadt Görlitz-Zgorzelec mit 86 000 Einwohner*innen an der deutsch-polnischen Grenze zu bekommen. „Aber es funktioniert“, freut sich der Gründungsbeauftragte. „Wir haben bereits 70 Mitarbeitende aus 25 Nationen hier am Standort Görlitz.“ Mittlerweile ist es zwar etwas eng im Forschungszentrum in der Altstadt, aber neue Räume stehen schon bereit. Sie müssen allerdings noch renoviert und für die Bedürfnisse des internationalen Forschungszentrums hergerichtet werden. Ziel ist es, in den nächsten Jahren auf über 100 Wissenschaftler*innen aufzustocken.

„Bei uns arbeiten Menschen über Fachgrenzen hinweg: Astrophysiker, Mathematiker, Klimaexperten, Systembiologen, Verkehrsforscher, Datenanalysten etc.“, schwärmt Bussmann. Das Entscheidende sei aber, dass die Forscher*innen Interesse und Kenntnisse über ihr eigentliches Fachgebiet hinaus haben. Das kann zum Beispiel eine Person aus dem Bereich Medizin sein, die gleichzeitig IT-affin ist, oder Mathematiker, die sich für Biologie interessieren, oder Mediziner mit einem Faible für Datenanalyse.

Die internationale Konkurrenz um die besten Wissenschaftler*innen bezeichnet Bussmann als groß. „Aber wir waren die ersten, die die Idee hatten, ein solches interdisziplinäres Wissenschaftsprojekt in die Tat umsetzten. Dadurch konnten wir uns einen guten Ruf erarbeiten.“ Man merkt, dass das Casus für Bussmann ein Herzensprojekt ist: „Die Menschen kommen nicht zu uns, weil wir überdurchschnittlich hohe Löhne zahlen würden, sondern sie kommen, weil das wissenschaftliche Konzept überzeugt, die Forschungsbedingungen gut sind und wir attraktiv für Top-Forscher*innen sind.“ Es gäbe so viele Daten, die müssen mit den richtigen Methoden und entsprechenden Fragestellungen zusammengeführt werden. „Die Daten allein sagen wenig aus, sie müssen in Verbindung gebracht werden und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden“, erklärt der Physiker, der über das Casus ein Covid-Projekt betreute und sich mit Krebsforschung und autonomem Fliegen von Drohnen beschäftigt. Das Entscheidende sei, dass die Leute an einem Ort sind und gemeinsam mit Neugier und Wissensdrang nach Lösungen suchen – egal ob im Büro, im Garten oder auf dem Görlitzer Marktplatz.

Bussmann spricht von einer intrinsischen Motivation der Mitarbeitenden an ihren Themen zu arbeiten. „Wir sorgen für gute Arbeitsbedingungen.“ Dazu gehört auch, dass das eigene International Office bei Ankunft der Wissenschaftler*innen bei bürokratischen Angelegenheiten hilft. Auch bei der Suche nach Wohnung, Schule oder Kita gibt es bei Bedarf Unterstützung.  

Ein weiterer Schwerpunkt des Casus ist es, die wertvollen Daten, die weltweit erhoben werden, langfristig zur Verfügung zu stellen, so dass Wissenschaftler*innen darauf zugreifen könnten. „Die Daten nehmen rasant zu und werden immer komplexer. Es ist ein Schatz für die Wissenschaft. Sie müssen aber gepflegt und aktualisiert werden.“  Nur dann können sie von der Wissenschaft genutzt werden.

Das Casus macht aber nicht nur selbst Spitzenforschung, sondern wirkt auch in die Stadtgesellschaft. „Das ist uns sehr wichtig“, so Bussmann. „Die Wissenschaft profitiert, wenn sie integraler Bestandteil der Stadt ist. Und umgekehrt profitiert auch die Stadt davon.“ So präsentiert sich das Forschungszentrum regelmäßig bei Stadtfesten und bei der ‚Langen Nacht der Wissenschaft‘ oder lädt zu Vorträgen zum Thema Robotik oder Quantenmaterial ein.

Als wichtige Initiative bezeichnet der Physiker das ‚Jugend-hackt-Labor‘. Dazu kommen jede zweite Woche Jugendliche vorbei, um gemeinsam mit Neugier und Kreativität, Lösungen für die großen und kleinen Herausforderungen der Welt zu entwickeln. „Damit wecken wir Interesse für MINT-Fächer und zeigen, welche Möglichkeiten man damit in der Lausitz hat“, zeigt der Wissenschaftler  sein Interesse an der Region.

Das Casus ist für internationale Wissenschaftler*innen oft ein Sprungbrett an andere renommierte Forschungseinrichtungen weltweit. „Für uns ist das kein Problem. Das erweitert unser Netzwerk, ermöglicht neue Kooperationen und intensiviert auch unsere Forschung hier in Görlitz“, erklärt Bussmann. Und so komme es auch vor, dass Forschende statt einer renommierten Eliteuniversität in den USA doch das Casus in Görlitz als Station in ihrer wissenschaftlichen Karriere wählen.

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