Mit Leidenschaft für die Oder als gemeinsamer Grenzfluss

Sahra Damus ist Mitglied des Landtages Brandenburg und der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt (Oder) für Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist gerade mitten in ihrer Sommertour unter dem Motto ‚Hallo Nachbar*in – Unterwegs zur Nachbarsprache Polnisch und unserem gemeinsamen Grenzfluss Oder.‘ „Eins meiner Herzensthemen und mein aktuelles Hauptthema ist die Oder. Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht mit oder an der Oder beschäftigte.“

„Wir versuchen auf allen Ebenen den Oderausbau auf polnischer Seite zu stoppen“, so Damus. „Wer behauptet, dass die momentanen Baustellen an der Oder Hochwasserschutz seien, der verbreitet Fake News“, stellt die 41-Jährige klar. Das werde von allen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die sich intensiv mit dem Fluss auseinandersetzen, bestätigt. „Ich bin besorgt, weil Gerichtsurteile vom obersten polnischen Gericht nicht respektiert werden“ Zum Hintergrund: Nach einer Klage von deutschen und polnischen Umweltverbänden hatte das oberste Verwaltungsgericht in Warschau in letzter Instanz einen Baustopp für den Aus- und Neubau von knapp 200 Buhnen an der Oder verhängt und die Gültigkeit der Umweltprüfung ausgesetzt. Doch an der Oder wird weiter gebaut. Die Staatsanwaltschaft hatte sich geweigert, den Baustopp durchzusetzen, so dass die Umweltschutzverbände erneut klagten. Vor wenigen Wochen hat ein Gericht entschieden, dass die Staatsanwaltschaft den Baustopp durchsetzen soll, den das oberste Verwaltungsgericht verhängt hat. „Wir fühlen uns vor Ort so machtlos“, sagt Damus. „Jetzt wird es die nächste Klage geben.“ 

Damus hat Hoffnung, dass sich der Oderausbau noch verhindern lässt, indem man die Finanzierung stoppt. Sie spricht von drei Geldgebern: EU, Entwicklungsbank des Europarats und Weltbank. Auf die Gelder der EU hat Polen bereits verzichtet, die Entwicklungsbank hat die Finanzierung gestoppt. Der größte Geldgeber ist jedoch die Weltbank. „Ich bin persönlich im November letzten Jahres nach Brüssel zur Weltbank gefahren. In zwei Briefen habe ich darauf hingewiesen, dass trotz gegenteiliger Gerichtsurteile in Polen weitergebaut wird. Es gibt noch keine eindeutige Antwort der Weltbank. “

Wichtig ist für die Politikerin, nicht nur auf Polen zu schauen. „Auch wir in Deutschland müssen unsere Hausaufgaben machen. Man denke nur an die Werra.“ Sie versteht, dass man die salzhaltigen Abwässer aus der Industrie in Flüsse nicht sofort stoppen könne. Aber an der Werra gibt es zumindest ein Einleitungsmanagement, das heißt, wenn bestimmte Grenzwerte überschritten werden, kann man zumindest kurzfristig reagieren. „Aber auf polnischer Seite scheitert es daran, dass die Verursacher nicht offen gelegt werden. Wir haben keine offiziellen Daten. Wir wissen nichts über die Genehmigungen, was in die Oder eingeleitet werden darf.“ 

Damus wünscht sich auch von deutscher Seite klarere Aussagen zur Oder. Man beruft sich in Deutschland auf das deutsch-polnische Abkommen aus dem Jahr 2015 über die gemeinsame Verbesserung der Situation an den Wasserstraßen im deutsch-polnischen Grenzgebiet. „Wir haben aber nach dem Fischsterben im letzten Jahr eine neue Situation an der Oder und müssen das Abkommen überdenken.“ Das wäre Aufgabe des Verkehrsministeriums, da der Fluss als Bundeswasserstraße gilt. Sie stellt klar: „Die Oder ist kein reines Naturschutzthema. Es ist ein komplexes Thema, das Ökologie, Hochwasserschutz, Wasserhaushalt, Verkehr, Wirtschaft und vieles mehr betrifft.“ Der engagierten Politikerin ist es wichtig, zu betonen, dass die Oder auch in Polen für viele Menschen ein Thema ist. „Auch auf polnischer Seite standen viele Menschen während des Fischsterbens im letzten Sommer fassungslos am Ufer.“  Und selbst Donald Tusk habe in einer großen Rede in Warschau von der Bedeutung der Oder gesprochen.  

Über die Oder könnte die Politikerin mit Leidenschaft und Fachkenntnissen noch lange reden. Aber: „Ja, Mehrsprachigkeit ist ein anderes wichtiges Thema für mich.“ „Es ist gut und wichtig, sich während dieser konfliktreichen Diskussionen um die Oder zwischendurch auch mit grenzüberschreitenden Themen zu beschäftigen, die durchweg positiv gesehen werden.“ „Zu Mehrsprachigkeit habe ich schon während und nach meinem Studium an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) geforscht.“  Das Land Brandenburg hat auf meine Initiative hin ein Mehrsprachigkeitskonzept auf den Weg gebracht, in dem es darum geht, dass jede*r EU-Bürger*in neben der Muttersprache möglichst noch zwei weitere Sprachen lernt. „Dieses Konzept muss jetzt mit Leben erfüllt werden. Ich wünsche mir, dass möglichst eine Nachbarsprache dabei ist, also hier in der Region das Polnische. Dafür werbe ich während meiner Sommertour.“ 

Gerade in Grenznähe habe man die Möglichkeit, schon vor der Schule neben der Muttersprache eine weitere Sprache zu lernen. „Hier geht es nicht um Sprachunterricht, sondern um Immersion, also das Eintauchen in eine fremde Sprache“, erklärt die Kulturwissenschaftlerin. Das könne in der Kita beginnen, indem polnische Erzieher*innen nur Polnisch und deutsche Erzieher*innen nur deutsch mit den Kindern reden. „Ganz nebenbei und spielerisch lernen die Kinder das Wort ‚Ball‘ und ‚piłka’ für den gleichen Gegenstand.” Dieser Immersions-Ansatz werde schon in manchen Kitas erfolgreich angewendet. „Aber diese Methode könnte noch mehr verbreitet werden.” Damus ist überzeugt, dass früher Sprachenerwerb den Zugang zu weiteren Sprachen erleichtert und das unabhängig von der späteren Schulform. Auch das Sorbische, Niederdeutsche und die Herkunftssprachen von Geflüchteten werden im Konzept zur Mehrsprachigkeit berücksichtigt. 

Damus stammt aus Brandenburg an der Havel und lebt aus Überzeugung in Frankfurt (Oder). „Ich kümmere mich lieber um eine kleine Stadt in Brandenburg als mich in Berlin zu engagieren. Hier ist der Bedarf viel größer.”  Auch die Oder braucht sie als leidenschaftliche Fürsprecherin.

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