Zwischen Warthe und Oder

Izabella und Jacek Engel wohnen in der Nähe von Słońsk (Sonnenburg) direkt am Nationalpark Warthemündung (Ujście Warty). Er wurde 2001 gegründet und ist somit der jüngste Nationalpark Polens. Die beiden Forstwissenschaftler kamen 1982 von Warschau an die Warthe, die bei Kostrzyn (Küstrin), etwa 100 Kilometer östlich von Berlin, in Form eines Binnendeltas in die Oder fließt. Seitdem steht die Natur des Mündungsgebietes im Mittelpunkt ihres Lebens – beruflich, privat und ehrenamtlich.

Izabella und Jacek wohnen direkt hinter dem Deich des Überschwemmungsgebietes der Warthe im Haus des ehemaligen Pumpmeisters neben der historischen Pumpstation. Diese stammt aus der Zeit als man noch versuchte, das Land trockenzulegen und den Fluss zu zähmen. Im Bereich des 8000 Hektar großen Nationalparks darf sich heute das Wasser wieder ausbreiten und seinen Weg selbst suchen. Unzählige Gräben, Kanäle und Flussläufe verschmelzen mit den Wiesen zu einer Auenlandschaft, die sich je nach Wasserstand ständig verändert und zeitweise komplett überschwemmt ist. Der Nationalpark ist überregional als Refugium für Wasser- und Watvögel bekannt.

Während Izabella als Lehrerin für Chemie und Biologie arbeitete, war Jacek als Wissenschaftler für eine polnische Naturschutzorganisation, als Manager des Landschaftsschutzgebietes Warthemündung (der Vorläufer des heutigen Nationalparks), als Leiter eines Projektes zur Gewässerökologie in Polen der internationalen Naturschutzorganisation WWF (World Wide Fund For Nature) und als freiberuflicher Umweltberater tätig. Heute ist er ehrenamtlicher Vorsitzender der 2010 gegründeten Greenmind Foundation, ein Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen und Expert*innen aus ganz Polen mit dem Schwerpunkt Flüsse und Sumpfgebiete. Bei Bauprojekten kontrolliert die NGO, ob Umweltverträg-lichkeitsprüfungen korrekt ablaufen. Falls nicht, kommt es zu Klagen. „Wir kämpfen gegen sinnlose Investitionen“, drückt sich Jacek aus. So laufen zum Beispiel Klagen gegen einen Staudammbau an dem polnischen Fluss Weichsel und an der Wisłoka, einem Nebenfluss der Weichsel in den Niederen Beskiden.

Durch die Oderkatastrophe mit dem Fischsterben sei die Oder in den Fokus gerückt. „Aber es geht nicht nur um die Oder, sondern alle polnischen Flüsse sind im schlechten Zustand“, erklärt Jacek. Er stellt auch klar, dass es bei der Oder im Moment nicht um Hochwasserschutz oder Renovierung der vorhandenen Buhnen geht. „Es werden quasi neue Buhnen, viel größer und höher als die alten gebaut“, kritisiert der Naturschutzaktivist. „Die polnische Regierung geht immer noch davon aus, dass die Oder schiffbar wie der Rhein werden soll.“

Leider muss der Naturschützer feststellen, dass Natur- und Umweltschutz im Moment bei keiner politischen Partei in Polen eine Rolle spielt und auch bei den Wähler*innen kaum. „Es ist schon frustrierend“, gibt er zu. „Die Situation für den Naturschutz ist schon lange schlecht, aber sie wird immer schlimmer. Wenn die PiS ein drittes Mal an die Macht kommt, dann weiß ich nicht, ob ich weitermache. Da werden Genehmigungsverfahren für Großprojekte geändert, so dass wir nicht mal mehr klagen können.“ Er ist überzeugt, dass es mehr radikalere Formen des Protests braucht. „Wir haben keine Zeit mehr, auf Veränderungen durch friedlichen Protest zu setzen.“

Iza engagiert sich in der „Gesellschaft der Freunde von Słońsk“. Der Verein möchte das kulturelle Erbe der Region erhalten und den Tourismus, besonders den Naturtourismus in der Stadt fördern. Um die Warthemündung besser bekannt zu machen, hat der Verein zum Beispiel die Vogelrepublik gegründet und stellt dafür Pässe aus. Er hat spezielle Vogelwanderwege erarbeitet und markiert. Iza betrachtet die Region an Warthe und Oder auf beiden Seiten der Grenze als einen gemeinsamen historischer Kulturraum. „Hier gibt es so viel zu entdecken – für Deutsche und für Polen, auf deutscher und auf polnischer Seite.“ So war sie auch an der Entwicklung einer deutsch-polnischen Geocaching-Route „Mit Theodor Fontane von Park zu Park“ beteiligt.  Auch das ehemalige Sonnenburg (Słońsk) hat einiges zu bieten: Hier wirkte der Johanniterorden und baute Schloss und Kirche. Das Schloss ist heute eine Ruine, aber zumindest gesichert. Die von Karl Friedrich Schinkel im 19. Jahrhundert neu gestaltete Kirche ist renoviert und ein Schmuckstück im Ort. Gleich nebenan ist ein kleines Heimatmuseum, an dessen Aufbau Iza mitgewirkt hat. Es zeigt Gegenstände „aus der Zeit der Deutschen“. Auch das ehemalige KZ der Nazis gehört zur Geschichte von Słońsk. Es wird an berühmte politische Gefangene wie Erich Mühsam oder Carl von Ossietzky erinnert.

Iza und Jacek leisten selbst einen großen Beitrag, um den Naturtourismus in der Region und vor allem im Nationalpark zu fördern. Die Regale in ihrem Büro sind voll mit Fachliteratur und Infomaterial. Sie betreiben eine private Touristeninformation und das Büro für Naturtourismus Dudek (auf Deutsch Wiedehopf). Sie bieten Gästezimmer an, verleihen Kajaks, Fahrräder und Ferngläser und bieten geführte Touren an. „Der Natur- und Kulturtourismus könnte eine große Chance für unsere Region sein“, ist Iza überzeugt. „Aber dafür muss man etwas tun. Das passiert nicht von allein. Wir reisen viel und wissen, was Touristen brauchen.“ Die beiden kennen die Warthemündung so gut, dass sie Interessierten immer aktuelle Informationen über Wege, die besten Beobachtungsplätze für Vögel oder Wasserstände geben können.

In ihrer Freizeit genießen Iza und Jacek die Natur um sie herum. Sie sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs, beobachten Vögel oder machen Geocaching. „Aufgrund der Schwankungen des Wasserstandes verändert sich das Gebiet der Warthemündung fortlaufend. Auch nach 40 Jahren begeistert und überrascht uns dieser Ort immer wieder.“

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