Zwischen Bienen und den Weltmeeren

Vor dem hübschen Haus in dem kleinen Dorf Gozdowcie im Odertal stehen auf einem kleinen Tisch Gläser mit verschiedenen Honigsorten – aus verschiedenen Blüten, cremig, flüssig, aber auch in verschiedenen Farben. Es handelt sich um Honig, der mit Johannisbeeren oder Himbeeren angereichert ist. Bienen und Honig haben in der Familie Atroszko eine lange Tradition. Heute führen Jacek und seine Frau Marta den Betrieb in der dritten Generation weiter.

Marta und Jacek haben sich beim Segeln kennengelernt. Jacek ist Berufssegler und Marta passionierte Hobbyseglerin. Gemeinsam sind sie über die Weltmeere gesegelt und mit den Motorrädern durch Südamerika gereist. „Eine Zeit, in der wir über unseren Wohlstand und unser Leben nachdachten“, erzählt Marta. „Wir wollten ein einfaches Leben, weg aus der Großstadt und vor allem gemeinsame Zeit haben.“ Gozdowice, das Elternhaus von Jacek, wurde das neue Zuhause – etwa 200 Meter von der Oder entfernt. Hier leben sie seit sieben mit ihren zwei Kindern. Der Blick vom Wohnzimmer und von der Terrasse ist atemberaubend: Saftiges Grün, das scheinbar direkt in die Oder übergeht. Noch ist die Terrasse im Bau, „aber es wird die schönste Terrasse“, verspricht Jacek.

Die Arbeitsteilung ist klar geregelt: Jacek kümmert sich um die 150 Bienenstöcke und die Produktion der verschiedenen Honigsorten nach alter Tradition. Das hat er von Kindheit an von seinem Vater und Opa gelernt. Marta macht alles, damit der Honig auch bei den Kunden landet: Verkauf an der Tür, Online-Shop, Webseite, Instagram, Werbung, Pakete für internationale Kunden packen usw. „Ich habe Angst vor Bienen und reagiere allergisch auf Bienenstiche“, erklärt sie die Arbeitsteilung. Gegründet wurde die Imkerei 1938 von Władysław Atroszko in der Nähe von Vilnius (heute Litauen). Nach dem Zweiten Weltkrieg zog er in die „Wiedergewonnenen Gebiete“ in Westpommern in die historische Neumark. Hier baute er wieder eine Imkerei auf – zunächst mit selbst gefangenen Wildbienen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Imkerei einen Namen in der Region gemacht. „Zum Honigkaufen kommt man nach Gozdowice“, sagt Jacek selbstbewusst. „Wir haben viele Kunden aus Polen und aus Deutschland, die einmal im Jahr zu uns kommen und ihren Jahresvorrat kaufen“, ergänzt Marta. Der kleine Selbstbedienungsstand vor der Haustür sei wichtig, damit die Menschen uns kennenlernen. „Viele kommen dann wieder, um nachzukaufen oder bestellen online. Selbst nach England verkaufen wir Honig.“ Je nach Saison, Wetter und Gesundheit der Bienen produziert die Imkerei an der Oder zwischen 3500 und 5000 Kilogramm pro Jahr. „Trotzdem wird noch nach alter Tradition gearbeitet“, versichert Jacek. „Allerdings versuchen wir unser Angebot immer zu erweitern“, ergänzt Marta. Als Beispiel nennt sie den Fruchthonig, der mit gefriergetrockneten Früchten, Ingwer oder Zimt gemischt wird. Jacek ist besonders stolz auf das ‚Bienenbrot‘, das er anbietet. „Dieser fermentierte Blütenpollen ist absolutes Superfood.“Jacek kennt seine Bienenvölker sehr genau. „Das hier ist ein friedliches Volk“, sagt er, während er den Bienenstock öffnet und die Waben in einem Holzrahmen zur Kontrolle herausholt. Sicherheitshalber benutzt er zusätzlich einen ‚Smoker‘. In dem Gerät wird Rauch erzeugt, der die Bienen ruhigstellt und Jacek die Arbeit am Bienenvolk erleichtert. Die Bienen krabbeln ruhig auf den Waben und den Holzrahmen. Dabei überwacht Jacek regelmäßig die Gesundheit und den Zustand der Bienenvölker sowie die Anzahl der Larven und jungen Bienen. Die Familie weiß das Haus, das um 1900 erbaut wurde, zu schätzen. Alles, was noch an Vorkriegsinventar im Haus war, haben sie hergerichtet. Marta zeigt ein hölzernes Wandeckregal, in dem Honig und Accessoires dekoriert sind. „Das war der Verkaufs- und Präsentiertisch der Samenhandlung, die bis 1945 im Haus war.“ Was heute wie Regalbretter anmutet, waren die Trennwände für die einzelnen Samensorten, die früher lose verkauft wurden. „Wir sind vielleicht die letzte Generation, die sich mit der Vorkriegsgeschichte, also mit der deutschen Geschichte in der Region beschäftigt“, mutmaßt Marta. In Gozdowice lebten vor 100 Hundert Jahren über 1000 Einwohner (heute etwa 100). Es war ein beliebtes Ausflugsziel für Berliner und ein anerkannter Luftkurort mit Badestrand, erzählt Marta. Vieles, was von Gozdowice nach dem Krieg noch stand, wurde abgerissen und die Steine zum Wiederaufbau nach Warschau transportiert. Von Gozdowice fährt eine Fähre über die Oder nach Deutschland. Wir genießen das sehr und machen öfters mal einen Ausflug zum Pizzaessen oder zu einer Kulturveranstaltung auf westlicher Oderseite. Marta sieht die vielen Grenzpendler, die in Deutschland arbeiten und gutes Geld verdienen. Aber Deutschland ist für sie nur Arbeitsplatz und vielleicht noch Einkaufsort. „Aber für gemeinsame Aktivitäten in Deutschland finde ich selten Menschen“, so ihre Erfahrung. Sie selbst war für zweieinhalb Jahre Pendlerin: Sie arbeitete als Ingenieurin auf der Baustelle der Tesla-Produktionsstätte südlich von Berlin. „Ich habe gutes Geld verdient, die Arbeit war gut, aber ich habe das wieder beendet. Zum einen weil der Arbeitsweg anstrengend war, zum anderen, weil mir die Zeit mit meiner Familie, mit meinen Kindern, für die Imkerei und für mich war mir wichtiger.“  Trotz Umzug an die Oder, ist die Leidenschaft zum Segeln und das Interesse an fremden Ländern geblieben. „Das ist jetzt unser Familienhobby“, freut sich Jacek. Das eigene Segelboot liegt noch in Danzig im Hafen, soll aber nach Stettin gebracht werden. „Dann können wir auch mal am Wochenende oder für einen Kurzurlaub aufs Meer.“

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