Dana Jesswein lebt in einem kleinen Dorf in Deutschland direkt an der Grenze zu Polen. „Das Landleben ist wunderbar. Ich bleibe aber nach wie vor mit der Stadt verbunden“, so die engagierte Frau in einem Literaturcafé im Zentrum Stettins. „Ich suche mir aus allem das Beste aus“, erklärt sie das scheinbar Widersprüchliche an ihrer Lebensphilosophie. „Ich lebte mit meinem Mann in einer Wohnung in Stettin. Wir wollten uns verändern und suchten außerhalb der Stadtgrenzen nach einer Alternative. Dabei spielte es keine Rolle, auf welcher Seite der Staatsgrenze das neue Zuhause sein würde.“ 2007 fand die Familie das passende Dorf mit dem entsprechenden Haus in Deutschland. Bis vor zwei Jahren pendelten beide täglich nach Stettin zum Arbeiten. Die Kinder gehen in deutsche Schulen, zu Hause wird polnisch gesprochen.
Die 42-Jährige hat viele Jahre als Kulturmanagerin gearbeitet, teilweise in internationalen Projekten. Seit zwei Jahren arbeitet sie in Deutschland, seit letztem Jahr in der Kontaktstelle für das europäische Förderprogramm Interreg zwischen Polen und Deutschland. „Hier mache ich genau das, was ich lebe. Ich engagiere mich für die Grenzregion und kann neue Projekte entwickeln und voranbringen.“ Jesswein kann in ihrem Beruf alles zusammenbringen, was sie bewegt: Menschen, Regionen, Stadt und Land und ihre vielfältigen Netzwerke. Und sie kann ihre Sprachkenntnisse in Polnisch, Deutsch und Englisch anwenden. „Mir ist es wichtig, raus aus meinem Büro zu kommen. Ich muss Menschen treffen, um zu erfahren, wie sie denken und was sie brauchen. Und so kann ich die Entwicklung neuer Projekte unterstützen.“
Dana Jesswein hat große Visionen und manchmal ist sie ihrer Zeit vielleicht auch ein bisschen voraus. Sie engagierte sich für die Bewerbung Stettins als Kulturhauptstadt 2016. „Wir haben uns als Deutsch-Polnischer Kulturraum beworben.“ In einem gemeinsamen Kulturraum gehe es darum, dass sich Menschen mit Verständnis, Respekt und Offenheit begegnen, eine gemeinsame Beziehung zu ihrer Umwelt und zu ihrer Geschichte und somit ein gemeinsames Gedächtnis aufbauen. Dazu müssten sprachliche, wirtschaftliche, verkehrstechnische oder administrative Barrieren abgebaut werden, damit die Menschen die Möglichkeit haben, auf beiden Seiten der Grenze an der jeweiligen Gesellschaft teilzuhaben. „Kreative und überzeugende Projektideen gab es aus Polen und Deutschland gleichermaßen.“ Stettin wurde nicht Kulturhauptstadt. „Ob es daran lag, dass wir uns nicht als Kulturhauptstadt, sondern als Kulturraum beworben haben, weiß ich nicht.“
Manchmal wird die Aktivistin auch von der Realität eingeholt. Nicht alle Menschen denken so grenzenlos. Etwa die Hälfte der Menschen in dem 150-Seelen-Dorf, in dem sie lebt, ist Deutsch. Die andere Hälfte sind polnische oder binationale Familien. „Obwohl wir seit 15 Jahren in dem deutschen Dorf leben, wird es vielleicht noch weitere 15 Jahre dauern, bis daraus ein wahres Miteinander wird“, beschreibt die kontaktfreudige Frau ihre Situation. An der Sprache kann es nicht liegen. Sie spricht hervorragend deutsch, ihr Mann ist Germanistikprofessor an der Universität Stettin und ihre Kinder besuchen deutsche Schulen. Sie überlegt, woran es liegt: „Vielleicht weil die Familien schon immer in dem Dorf leben und sich aus Kindertagen kennen? Oder weil wir woanders herkommen und heute noch anders leben?“
Jesswein beobachtet die Entwicklung in der deutsch-polnischen Grenzregion mit der besonderen Geschichte intensiv. „Stettin war jahrhundertelang deutsch, hat 1945 seine Einwohner ‚ausgetauscht‘ und sucht bis heute nach einer neuen Identität. Nach der Wende begannen die Menschen nach den Wurzeln zu suchen. Langsam kommt es in das Bewusstsein, dass die polnischen Einwohner die Geschichte der deutschen Generationen in Stettin fortschreiben.“
Jesswein ist überzeugt, dass es eine Grenzidentität gibt. „Die Grenzen verblassen und es wird immer unwichtiger, ob man in Polen oder Deutschland lebt, polnische oder deutsche Staatsangehörigkeit hat.“ Wichtig sind für Jesswein Begegnungsorte für Menschen, die gemeinsam in Dörfern der Grenzregion leben. Dies könnten auch kleine, private Initiativen sein. Sie selbst denkt an offenes Musizieren oder Leseabende in ihrem Zuhause. „Hier im Grenzraum, sind nicht mehr nur deutsche und polnische Familien zu Hause, sondern Deutsche, Polen und ‚Grenzländer‘ – Menschen mit Grenzidentität.“