Als Grenzer im Westen und im Osten

Siegfried Kapp hat 26 Jahre bei den Grenztruppen der DDR gedient – von 1964 bis 1982 bei den Grenztruppen West an der ehemaligen innerdeutschen Grenze und von 1982 bis 1990 bei den Grenztruppen Ost an der Grenze der DDR zu Polen. „An der Westgrenze gab es Grenzsicherung, hier im Osten Grenzüberwachung“, erklärt der 79-Jährige im Deutsch-Polnischen Grenzmuseum im Schloss Penkun in Mecklenburg-Vorpommern.

Als Mitglied der Grenztruppen war Siegfried Kapp für Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit an der Grenzübergangsstelle Pomellen und den Bahnübergängen Tantow und Grambow zuständig, aber nicht für die Personenkontrollen. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte es auch, die Arbeiten der zivilen Beschäftigten wie Heizer, Hausmeister oder Elektriker zu koordinieren. „Pomellen war ein wichtiger Grenzübergang. Alle offiziellen Leute nutzten diesen.“

An der Grenze zwischen Polen und DDR gab nach den Beschreibungen von Kapp manchmal einen einfachen Zaun, manchmal auch nur Grenzsäulen in regelmäßigen Abständen, so dass der Grenzverlauf wie eine gedachte Linie war. In der Regel gab es auf polnischer Seite und auf deutscher Seite einen Trampelpfad für Kontrollgänge, aber keine Fahrspur. „Bei unseren Kontrollgängen begegneten wir auch polnischen Grenzern. Konflikte gab es keine, aber auch keine Gespräche. Ich spreche ja auch kein polnisch.“ Kapp schätzt, dass am Grenzübergang Pomellen während seiner Dienstzeit durchschnittlich 100 Fahrzeuge pro Tag abgefertigt wurden. Neben der Passkontrolle gab es die Zollkontrolle, die von polnischen und deutschen Mitarbeitern gemeinsam erledigt wurde.  Trotzdem sei viel geschmuggelt worden – vor allem Schnaps und Zigaretten. „Beides durfte nur in geringen Mengen aus Polen in die DDR eingeführt werden.“

Kapp berichtet, dass es DDR-Bürger gab, die versuchten über Polen zu flüchten. „Das wurde vorher festgestellt und die Menschen wurden beobachtet“, lautet seine Formulierung. „Außerdem gab es Fahndungsausschreibungen, von denen man an der Grenze wusste und reagieren konnte.“

Kapp erinnert sich, dass in den 80er Jahren DDR-Bürger nur mit Einladung nach Polen reisen durften. Grund war die Sorge der DDR-Regierung, dass die Solidarność-Bewegung auf die DDR übergreifen könnte. „Und ich durfte als Mitglied der Grenztruppen gar nicht nach Polen.“ Er erzählt, dass seine Frau öfters „zum Einkaufen und aus Neugier“ nach Polen fuhr. Die Einladung organisierten ihr Bekannte. Kapp berichtet von Zinnsachen, die er sammelte und die man in Polen besser kaufen konnte. Offiziell sollte man in Polen nur in der landeseigenen Währung, also in Złoty bezahlen. Aber da Ostmark in Polen begehrt war, kam diese auch zum Einsatz. „Es wurde viel gehandelt und auch inoffizielle Geschäfte gemacht“, weiß er aus Erzählungen.  

Dann kam die politische Wende und auch die Wende für Siegfried Kapp. In den letzten Monaten seines Dienstes arbeitete er mit Beamten des Bundesgrenzschutzes zusammen. „Da musste ich ständig hören, was wir alles falsch gemacht haben. Aber eigentlich haben die auch nur ihren Dienst gemacht so wie wir“, zuckt er mehr als 30 Jahre später die Schultern. „Und am 30. September 1990 war Schluss. Ich war arbeitslos.“ Er erzählt, dass er sich beim Bundesgrenzschutz bzw. bei der Bundespolizei beworben hatte. „Aber es hieß, mit knapp 50 Jahren sei ich zu alt.“

Noch heute ärgert sich Kapp über die Verabschiedung nach 26 Jahren Dienst. „Es gab quasi keine.“ Am meisten geärgert hat er sich, dass er keine Abschlussprämie bekam. Diese gab es, wenn man in der DDR aus dem Dienst ausschied. „Die bekam ich nun nicht, da es diese in der BRD nicht gab.“ Zumindest bekam Kapp „Übergangsgeld“ nach dem Ende seiner Dienstzeit bei den Grenztruppen. „Damit hatte ich noch Glück, denn ehemalige Mitarbeitende des Ministeriums für Staatssicherheit bekamen das nicht.“

Der ehemalige Grenzsoldat war nach 1990 in vielen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) beschäftigt. Er hat bei der Sanierung des Parks von Schloss Penkun geholfen, Wanderwege angelegt, im Freilichtmuseum gearbeitet, an der Chronik von Penkun mitgeschrieben – manchmal hatte er bezahlte Jobs, manchmal über ABM finanziert und oft auch ehrenamtlich. „Ich hatte Glück, dass ich so viele sinnvolle Tätigkeiten hatte“, blickt er zurück.

Dazu gehört auch der Aufbau der Ausstellung zur deutsch-polnischen Grenze vor 25 Jahren im Museum Penkun. Er hat Zeitdokumente, polnische und deutsche Uniformen, Büroausstattung der Grenzposten, Auszeichnungen und Abzeichen der verschiedenen Dienstgrade und vieles mehr gesammelt und zusammengestellt. „Vieles wurde mir auch von ehemaligen Grenzern aus Polen und Deutschland gebracht.“

Kapp hat sich immer Beschäftigung gesucht. „Das hat geholfen über die Enttäuschung hinwegzukommen.“ Noch heute macht er regelmäßig Dienst im Museum. Zu seiner Zeit bei den Grenztruppen sagt er: „Ich hatte mich für den Staat entschieden und deshalb für ihn gearbeitet. Es hat mir Spaß gemacht und der Dienst war in Ordnung. Es hätte besser laufen können. Bis in die 1970er Jahre ging es ja auch aufwärts. Dann wurde es schlechter. Die gesellschaftliche Entwicklung hat sich auch bei den Soldaten niedergeschlagen. Es gab immer weniger Kameradschaft. Jeder, der einen Fehler machte, wurde sofort angezählt.“

Kapp nennt das auch den Grund, warum er von den Grenztruppen West zu den Grenztruppen Ost versetzt wurde. „Ich konnte meinen Mund oft nicht halten und wurde deshalb strafversetzt.“ Damit kam er wieder in die Nähe seiner Geburtsstadt Stettin, aus der er am Ende des zweiten Weltkrieges zweimal flüchten musste. „Für mich war es nur positiv, dass ich an die deutsch-polnische Grenze versetzt wurde.“  Hier ist jetzt auch sein Zuhause.

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