Auf Spurensuche im Tal der Liebe

Aus einer Liebesgeschichte wurde das ‚Tal der Liebe‘. Anna von Humbert empfing 1850 ihren Mann, der als Politiker länger abwesend war, in dem von ihr gestalteten Landschaftspark mit dem Transparent: „Herzlich willkommen im Tal, das die Liebe geschaffen hat“. Anna und ihre Nachfahren erweiterten den Landschaftspark an den Oderhängen auf polnischer Seite gegenüber von Schwedt kontinuierlich. Das 'Tal der Liebe' wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zum beliebten Ausflugsziel für Touristen aus Stettin, Berlin und Schwedt.

Willi Magnus aus Schwedt kennt das ‚Tal der Liebe‘ schon lange. Der 79-Jährige begeistert sich für alte Bücher und Karten. „So hatte ich Pläne vom Tal der Liebe lange bevor ich es sehen konnte.“ Die Geschichte beginnt mit der Ansiedlung der Familie von Humbert 1827 auf dem Landgut Hohen Kränig oberhalb des östlichen Oderufers in der historischen Landschaft Neumark. Das Gut lag oben auf einer Hügelkette, die zur Oder hin steil abfällt und von tiefen Schluchten und sanften Tälern durchbrochen wird. Anna von Humbert erkannte die Schönheit dieser Landschaft und ließ Wege und Alleen anlegen sowie Bäume und Sträucher pflanzen. Sie legte den Grundstein für einen etwa 80 Hektar großen Landschaftspark zwischen Niederkränig (Krajnik Dolny), Hohen Kränig (Krajnik Górny) und Nieder Saathen (Zaton Dolna).

Willi Magnus erzählt, dass er während seiner Berufstätigkeit als Funkmechaniker im Instandsetzungswerk in Pinnow Militärtechnik reparierte. „Die Natur war ein guter Ausgleich für mich. Außerdem interessierten mich Geschichte schon immer“, erzählt Willi Magnus. So war er bereits in der 1970er Jahren viel in Polen unterwegs – entweder als Langstreckenläufer oder als Fahrradfahrer. Er erinnert sich, dass er einmal mit einem Freund in den Hügeln rund um Krajnik Dolny unterwegs war, um Reste des Tals der Liebe zu suchen, das er aus seinen Büchern kannte. Vergeblich. Es war alles verwildert und zugewuchert. Sie stießen allerdings auf einen polnischen Grenzsoldaten, der dort seinen Dienst verrichtete. Sie wurden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen.

Anna von Humbert und ihre Nachfahren erweiterten den Park immer mehr. Insgesamt wurden 7000 Bäume gepflanzt, Stege an Bächen und Teichen gebaut sowie Pavillons errichtet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Park öffentlich zugänglich gemacht. Die Menschen flanierten durch den Landschaftspark. Es entwickelte sich Gastronomie. Die Ausflugsschiffe auf der Oder legten direkt am Park an. Anlässlich des 100. Jubiläums des Gutes der Familie von Humbert 1927 gestaltete Annas Enkel René den Park entsprechend des damaligen Zeitgeistes um. Es entstand zum Beispiel der Gedenkhügel, auf dem riesige Findlinge platziert wurden. Auf ihnen waren Namen berühmter Deutscher aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik verewigt. In den beiden Teichen, die aus einer Bergquelle gespeist wurden, ließ René zwei Figuren aufstellen, die ehemals das Schwedter Schloss zierten.  

Nach dem zweiten Weltkrieg lag der Landschaftspark und das Tal der Liebe bzw. Dolina Miłości, wie es im polnischen heißt,plötzlich im Grenzgebiet. Das Herrenhaus der Familie von Humbert und die Wirtschaftsgebäude wurden zu Kriegsende von den Nazis zerstört. Der Park geriet in Vergessenheit, verwilderte und wurde teilweise forstwirtschaftlich genutzt. Gebäude und Skulpturen wurden durch Vandalismus zerstört. Von dem Tal der Liebe war nichts mehr übrig als die Erinnerung, alte Postkarten, historische Fotos und Beschreibungen in alten Büchern.

1992 wurde der ehemalige Landschaftspark unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2005 gibt es große Anstrengungen eines polnischen Naturschutzvereins, den Park wieder zugänglich zu machen. Die ursprüngliche Schönheit des Tales der Liebe ist heute nur zu erahnen. Es wurden zwar wieder einige Wege angelegt, Aussichtspunkte zugänglich gemacht und freigeschnitten, die Teiche gesäubert und Nachbildungen der alten Skulpturen angefertigt. Aber es ist nicht mehr der alte Landschaftspark, sondern es ist heute Teil eines großen Naturschutzgebietes, in dem der Wald und besondere Biotope im Fokus stehen.

Willi Magnus, der seit 1999 als Natur- und Landschaftsführer regelmäßig Gruppen Natur und Kultur rund um Schwedt zeigt, steht heute an den Teichen, die sich Goldfischteiche nennen, und kommentiert mit Blick auf das grüne Wasser: „Das sind heute eher Froschtümpel.“ Er wünschte sich, dass der Park wieder mehr gepflegt würde. Immer wieder stößt man auf Schilder, dass Wege gesperrt sind. Sie sind größtenteils zugewachsen. Trotzdem sind viele Menschen unterwegs und flanieren durch die eiszeitlichen Oderhügel und besteigen die verschiedenen Aussichtsberge.

Danach treffen sich viele polnische und deutsche Besucher im Café bei Beate direkt neben dem ehemaligen Landschaftspark und genießen bei Kaffee und Kuchen oder bei Bier und Piroggen einen ähnlichen Blick über das Odertal wie ihn einst Anna von ihrer Gartenlaube umgeben von weißem Flieder genossen haben könnte. Auch Willi Magnus erfreut sich an dem Blick, lobt Beates Kuchen und zeigt sicherlich noch vielen Menschen das Tal der Liebe und erzählt von seiner wechselhaften Geschichte.

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