Naturschutz als gesellschaftliches Engagement

Thomas Berg spricht Klartext. Als Pfarrer nicht nur auf der Kanzel, sondern auch im Naturschutz als Vorsitzender des Nationalparkvereins „Unteres Odertal“. Es ist der einzige Flussauennationalpark in Deutschland. Er ist etwa 60 Kilometer lang und zwei bis acht Kilometer breit und erstreckt sich entlang des Westufers der Oder in Richtung Stettin. Gemeinsam mit zwei Landschaftsschutzparks auf polnischer Seite bildet das Odertal ein riesiges grenzüberschreitendes Schutzgebiet.

„Uns gibt es schon länger als den Nationalpark selbst. Der Verein wurde 1992 gegründet, der Nationalpark erst 1995 “, so Thomas Berg. Der Beschluss zur Gründung des Nationalparks stammte noch von der letzten DDR-Regierung. „Aber es dauerte, bis die Strukturen geschaffen wurden.“ So begann der Verein Flächen aufzukaufen und erste Naturschutzmaßnahmen in die Wege zu leiten. Als privater Verein sind wir viel flexibler und können schneller reagieren als eine staatliche Nationalparkverwaltung.“

Den Vorsitz des Vereins übernahm Berg 1998 „in einer Zeit als hier die Luft brannte. Am Anfang war das eher eine umweltpolitische Aufgabe mit großen Auseinandersetzungen mit Bauernverband und Landwirten“, erinnert sich Berg. „Aber das hat sich gelegt. Mit den Landwirten, die unsere Pächter sind, haben wir mittlerweile eine gute Zusammenarbeit. Unsere Naturschutzauflagen führen heute nicht mehr zu Diskussionen, sondern werden akzeptiert. Die ehemaligen LPG-Vorsitzenden, für die wir oft die blöden Naturschützer waren, sind meist in Rente.“

„Auf der Fachebene arbeiten wir mit der Nationalparkverwaltung gut zusammen – wir haben ja meist die gleichen Fachleute, die uns beraten. Auf der politischen Ebene sind wir uns nicht immer ganz einig“, so Berg. „Wir sind viel weniger konfliktscheu. Was gemacht werden muss, muss gemacht werden. Das kann man nicht aussitzen und hoffen, dass irgendwann eine Lösung kommt“, argumentiert Berg zum Beispiel im Hinblick auf das Wassermanagement in den Poldern, einem eingedeichten Gebiet. „Hier muss dringend etwas passieren, damit das Wasser viel länger auf den Wiesen bleibt. Nur dann haben die Bodenbrüter auch eine Chance ihr Jungen groß zu ziehen.“

Im Besitz des Vereins sind mittlerweile etwa 6000 Hektar im und angrenzend zum Nationalpark. Davon werden knapp 2000 Hektar als landwirtschaftliche Flächen verpachtet. „Über die Pachtverträge haben wir großen Einfluss auf die Nutzung.“  Und auch hier ist es für uns als privatrechtlicher Verein leichter, bestimmte Dinge durchzusetzen: „Wenn uns Ornithologen sagen, dass eine bestimmte Vogelart in einem Gebiet vorkommt, können wir die Nutzungsauflagen sofort anpassen. Die Nationalparkverwaltung muss erst warten, bis die Gesetze angepasst werden.“ Berg lebt seit 30 Jahren in Lunow in der Uckermark. Mittlerweile weiß er die Menschen zu nehmen. „Wenn es etwas Neues gibt, heißt es zunächst: „Das gab’s ja noch nie.“ Nach fünf Jahre heißt es dann: „Das haben wir schon immer so gemacht.“

Die korrekte Bezeichnung des Vereins ist recht sperrig: „Verein der Freunde des Deutsch-Polnischen Europa-Nationalparks Unteres Odertal.  „Gerade in der Gründungsphase gab es intensive Kontakte zu engagierten Naturschützern in Polen und wir wurden dem Namen gerecht“, so Berg. „Im Moment sei das allerdings aus mehreren Gründen schwierig.“ Ein Grund ist für ihn, dass es in Polen wenig Vereine und institutionalisierte Strukturen gibt. Stellen im Naturschutz seien in Polen noch mehr als in Deutschland gestrichen werden. „Und es fehlen einfach die Menschen auf östlicher Seite der Oder. Bei uns ist es ja schon dünn besiedelt, aber auf der anderen Seite leben noch weniger Menschen.“ Auch auf politischer Ebene sei es schwierig, denn nach seinen Erfahrungen werden bei Regierungswechsel auf der kommunalen Ebene nicht nur die Führungsspitzen ausgetauscht, sondern immer komplett alle Posten. „Damit verschwinden dann oft sämtliche Kontakte und man müsste wieder von vorne anfangen.“

Allerdings gibt es über die Nationalparkakademie in Criewen bei Schwedt gute Kontakte auf der Fachebene zu Wissenschaftler*innen in Polen. „Wir sind bemüht, dass wir hier wieder mehr zusammenarbeiten und die Kontakte erweitern.“ Eine Überlegung sei auch, in Zukunft auf polnischer Seite Flächen zu kaufen, um die Vernetzung zu verstärken.

„Wir sind als Verein wirtschaftlich und politisch sehr unabhängig. Dadurch haben wir eine starke Position im Nationalpark und in der Region.“ Für Berg ist Naturschutz nicht nur eine staatliche, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. „Naturschutz braucht bürgerschaftliches Engagement“, so der Theologe.

Die Situation der Oder ist auch für den Verein ein großes Thema. Tote Fische in der Oder sind sichtbar und machen betroffen, aber die viel größere Gefahr für die Oder sei der geplante Oderausbau. „Allerdings haben wir hier wenig direkten Einfluss, unterstützen aber das ‚Aktionsbündnis lebendige Oder‘ finanziell und ideell.“  Das Oberste Verwaltungsgericht in Warschau hat die Genehmigung der polnischen Umweltverwaltung zum Ausbau der Oder im März dieses Jahres vorläufig aufgehoben und die Bauarbeiten gestoppt. Man sieht allerdings, wie am östlichen Ufer der Oder weitergebaut wird. „Die Baumaßnahmen werden von polnischer Seite im Moment als notwendige Erweiterung des Hochwasserschutzes begründet“, so Berg.

Es bleiben noch viele Aufgaben für den Verein. „Viele dachten, dass sich unsere Arbeit nach Gründung des Nationalparks 1995 erledigt hätte. Manche wollten uns auch loswerden. Aber wir sind immer noch da und sehen noch viele Aufgaben vor uns.“  Wenn Berg an die anstehende Flurneuordnung denkt, sieht er große Konflikte aufkommen. Es handelt sich um ein Gebiet von 20 000 Hektar, von dem der Nationalpark etwa die Hälfte der Fläche ausmacht. „Die meisten Konflikte hat man, wenn man sich nicht traut, diese auszutragen.“ Von daher ist zu erwarten, dass der Pfarrer und Naturschützer aus Lunow auch in Zukunft Position beziehen und Klartext reden wird.

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