Dazu muss man wissen, dass Eisenhüttenstadt nach der Wende etwa die Hälfte seiner Bewohner und Bewohnerinnen durch Abwanderung verloren hat. Zurückgeblieben sind überwiegend Ältere und Menschen, die noch einen Arbeitsplatz im Stahlwerk – der einzige Grund, warum es diese Stadt überhaupt gibt – haben.
„Vom Gefühl und vom persönlichen Empfinden war ich gar nicht richtig weg“, reflektiert Valentin Franze. Nach dem Abitur 2018 ging er nach Greifswald, um Musikwissenschaften und Germanistik zu studieren. „Ich war immer bestrebt, wieder zurückzukommen.“ Eigentlich wäre es naheliegender gewesen, einen Industrie- oder Handwerksberuf zu erlernen. „Aber meine Neigungen lagen woanders und ich habe die Fächer studiert, die mich interessierten. Mir war bewusst, dass es mit dieser Fächerkombination nicht leicht sein wird, nach Eisenhüttenstadt zurückzukehren“, so Franze.
Aber warum will man in diese Stadt, aus der alle wegziehen, in der Gebäude abgerissen werden und in der der Verfall nicht zu übersehen ist, zurückkehren? Die Antwort fällt leicht: „Ich bin hier gut in der Kulturszene vernetzt und habe ich viele Kontakte in der Stadt“, zählt er auf. Der 25-Jährige hat während der Schulzeit in der Theater-AG gespielt und war als Gitarrist in der Musikszene aktiv. „An diese Bindungen konnte ich sofort wieder anknüpfen, da nicht alle aus meinem Umfeld Eisenhüttenstadt verlassen haben bzw. einige wiedergekommen sind.“
Franze nennt noch einen weiteren Grund: „Mir gefällt die Stadt sehr gut. Ich mag ihren Charme.“ Er erzählt, dass er das Besondere dieser Stadt schon als Jugendlicher entdeckte und erlebte: „Als ich zur weiterführenden Schule ging, fuhr ich mit dem Fahrrad immer bewusst durch die Grünanlagen der verschiedenen Wohnkomplexe.“ Nachdem er ein paar Jahre in Greifswald mit Altstadt und engen Straßen gelebt hat, weiß er heute die Weite und Großzügigkeit dieser Stadt, die am Reißbrett geplant wurde, noch mehr zu schätzen. Für ihn hat die Stadt weit mehr als seine sozialistische Geschichte zu bieten. „Die Stadt lebt. Sie ist kein Museum“, begegnet er eventuellen Vorurteilen. „Die Stadt wurde gebaut, um hier zu leben.“ Er sieht die Stadt und das Hüttenwerk als eine Symbiose. „Man hat hier nach dem Krieg die Zukunft gebaut.“ Die Stadt ist mit der Industrie gewachsen und nach der Wende sind beide geschrumpft. Franze glaubt fest daran, dass Eisenhüttenstadt wieder Stadt der Zukunft werden kann.
Ihm ist bewusst, dass diese Planstadt ein politisches Ziel verfolgte und Ausdruck einer gesellschaftlichen Vision war. Aber viele Grundsätze der Stadtplanung von damals stimmen seiner Meinung nach heute noch. Über die Stadt der Zukunft werde viel diskutiert. „Wie wollen wir leben?“ oder „Was brauchen wir, um glücklich zu sein?“, sind aktuelle Fragen, auf die man in Eisenhüttenstadt vielleicht Antworten finden kann. „Kurze Wege, wenig Autoverkehr, große Grünflächen, Schulen und Kindergärten in Wohnnähe, das alles wurde hier schon vor 70 Jahren umgesetzt.“
Dem Vorurteil, dass in Eisenhüttenstadt nichts los sei, begegnet er vehement. „Es ist eine lebenswerte Stadt mit vielen Vereinen und einem großen Angebot an Veranstaltungen zum Beispiel im Theater oder auf der Freilichtbühne.“ Er erzählt von einer Initiative, das Zentrum des Wohnkomplexes V aus den sechziger Jahren wiederzuentdecken. Der ‚Platz der Jugend‘, zu dem einst Schule, Gaststätte und Nahversorgungseinrichtungen gehörten, wirkt verlassen und öde. „Stadtbrache“ nennen es Architekten. Unter dem Motto „Auf den Platz, fertig, los!“ soll eine Ausstellung, verschiedene Aktionen, Workshops und Kulturangebote vielfältige Begegnungen schaffen. Ziel ist es, neue Perspektiven für den Wohnkomplex und die Stadt zu entwickeln. Franze schwärmt von einer großen Gemeinschaftsaktion der Eisenhüttenstädter, um das Wohnkomplexzentrum aufzuräumen und den Weg für Neues freizumachen.
Franze hat nach seinem Studium in einer Lokalredaktion in Frankfurt (Oder) gearbeitet. Seit Januar 2023 ist er Pressesprecher der Stadt Eisenhüttenstadt, seit April lebt er wieder in seiner Heimatstadt. Besser hätte es für ihn beruflich nicht laufen können. Seine Begeisterung für die Eisenhüttenstadt kann er nun auch beruflich ausleben und als Rückkehrer neue Perspektiven für junge Leute in „Hütte“ entwickeln. Als Sprachrohr der Stadt gestaltet er die Zukunft mit.