Vision einer sozialistischen Stadt

Eisenhüttenstadt ist eine sozialistische Musterstadt, die am Reißbrett entwickelt wurde. Grund für die neue Stadt mitten in einem märkischen Kiefernwald in Brandenburg, war der Aufbau einer Schwerindustrie an der Oder. Für das neugegründete Stahlwerk neben dem mittelalterlichen Ort Fürstenberg brauchte man tausende von Arbeitskräften und somit auch Wohnraum.

Der Name der Stadt wechselte öfters: Zuerst war es die „Wohnstadt des Eisenhüttenkombinats Ost“, dann ab 1953 Stalinstadt und seit 1961 Eisenhüttenstadt. Hier lebt man nicht in Stadtteilen, sondern in Wohnkomplexen mit jeweils etwa 5000 bis 10 000 Einwohnern. Die Wohnkomplexe I bis III der ersten deutschen sozialistischen Idealstadt sind in den 50er und 60er Jahren im sozialistischen Klassizismus erbaut. Sie stehen heute gemeinsam mit der Haupteinkaufsstraße, der Lindenallee, unter Denkmalschutz und gelten als das größte Flächendenkmal Deutschlands. Der Wohnraum reichte nicht, denn das Stahlwerk wuchs und beschäftigte immer mehr Menschen. Es entstanden zwei weitere Wohnkomplexe in einfacherer Bauweise und in den 80er Jahren kam die letzte Erweiterung in typischer DDR-Plattenbauweise.

Die Stadt ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Vision. Arbeit, Freizeit, Bildung, Kultur und Erholung sollten in unmittelbarer Nähe zum Wohnort sein. So gehörten zu jedem Wohnkomplex ein Kindergarten, eine Schule und Einkaufsmöglichkeiten. Die großzügigen autofreien Grünanlagen dienten der Erholung im Kollektiv – Balkone waren nicht vorgesehen. Kunstwerke, die das Ideal der sozialistischen Gesellschaft darstellten, sind als Wandmosaiken, Buntglasfenster oder Skulpturen zahlreich im öffentlichen Raum vertreten.

Nach DDR-Plänen sollte die Stadt am Ende 100 000 Einwohner haben. Das klappte nicht ganz: Bis zur Wende wuchs Eisenhüttenstadt kontinuierlich auf über 50 000 Menschen. Durch den Strukturwandel verlor Eisenhüttenstadt nach der Wiedervereinigung die Hälfte seiner Einwohner, mehr als jede andere ostdeutsche Stadt.

Ein deutsches Magazin hat Eisenhüttenstadt zu einem Top-Reiseziel 2023 auserkoren. Hier kann man DDR-Geschichte, stalinistische Architektur, Ostalgie, aber auch jede Menge Lost-Places entdecken und erleben. Es gibt viel Leerstand und heruntergekommene, vom Vandalismus bedrohte Gebäude. Viele Wohnquartiere am Stadtrand wurden mittlerweile abgerissen und Brachflächen teilweise mit Einfamilienhäusern bebaut. Die Gebäude in der Innenstadt, die unter Denkmalschutz stehen, wurden größtenteils saniert, um das Wohnen in diesen Gebäuden wieder attraktiv zu machen. Mitten im Zentrum in unmittelbarer Nähe zum Rathaus steht als riesiger Klotz die Ruine des ehemaligen Hotels Lunik. Alle in Eisenhüttenstadt hoffen, dass dieser Schandfleck, der auch unter Denkmalschutz steht, wieder saniert werden kann und eine Nutzung bekommt.

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