Wieviel Sorben genau in Schleife leben, weiß Nickel nicht. „Es gibt kein Papier oder Stempel für Sorben. Es ist im Grunde ein Bekenntnis zur Sprache und zur Kultur.“ Er schätzt, dass sich mindestens ein Drittel der Menschen in Schleife heute noch als Sorben bezeichnen. „Viele sind weggezogen, da die Region vom Strukturwandel stark betroffen ist. Diese Abwanderung ist eine große Herausforderung für unsere Kultur“, so Nickel.
Sorben sind eine von vier in Deutschland anerkannte Minderheiten. Sorbisch ist in der Region zweite Amtssprache. Auf allen Orts- und Straßenschildern steht neben der deutschen Bezeichnung auch immer die sorbische. „Wir hoffen, dass unsere Sprache erhalten bleibt.“ Nickel erinnert sich an seine Jugend. „Meine Mutter hat mit meiner Oma nur Schleifer Sorbisch gesprochen. Bei mir hat sie aber darauf geachtet, dass ich akzentfrei deutsch spreche.“ Heute sei das anders. Es gibt in einigen Kindergärten und Schulen das Angebot, sorbisch zu sprechen und zu lernen.
Ein Zeugnis dieser Kultur und ein Ort, an dem die Traditionen gepflegt werden, ist der Njepila-Hof in Rohne. Es ist ein altes bäuerliche Anwesen, das der arme Halbbauer Hanzo Njepila 1806 errichtete. „Ende der 90er Jahre war das Schrotholzhaus in einem katastrophalen Zustand, nachdem der Hof seit den 80er Jahren verlassen war“, erinnert sich Nickel. „Schon als Jugendlicher dachte ich immer, dass dieser Hof erhalten bleiben muss.“ 1999 gründete Nickel dann den Verein Njepila-Hof mit dem Ziel, den verfallenen Hof, der mittlerweile im Besitz der Gemeinde war, wieder aufzubauen.
Wir haben zunächst einmal das Gebäude gesichert, damit der Schaden nicht noch größer wird“, erzählt Nickel. Im Jahr 2000 begann der Verein, Hoffeste auf dem halb verfallenen Hof zu organisieren. „Wir orientieren uns am bäuerlichen Leben im Jahreslauf.“ Er zählt auf: Schlachtfest, Federnschleißen, Ostereier bemalen, Ostersingen, Erntefest, Kirmes und Weihnachten mit dem Rohner Christkind.
Die Feste waren erfolgreich. Es gab viele engagierte Menschen, die ihr altes Wissen an traditionellen Kulturtechniken der Sorben einbringen konnten. „Und wir erwirtschafteten das erste Geld für den Wiederaufbau des Schrotholzhauses und der Nebengebäude.“ Der Vereinsvorsitzende kümmerte sich um Fördergelder, so dass 2006 der Wiederaufbau gleichzeitig mit dem 200-jährigen Jubiläum des Njepila-Hofes gefeiert werden konnte.
Auf dem Hof wird das kleinbäuerliche Leben der Schleifer Sorben gezeigt. Der Wohnbereich ist so eingerichtet, wie es zu Njepila Zeiten üblich war. In der sorbischen Heimatstube werden unterschiedliche Trachten gezeigt. „Für jeden Anlass von Geburt über Taufe, Hochzeit bis zur Beerdigung gab es unterschiedliche. In Schleife ist die Trachtenvielfalt mit 60 verschiedenen Varianten besonders groß“, erklärt Nickel die Ausstellungsstücke. Gezeigt werden außerdem historische Geräte zur Flachsverarbeitung und zum Weben. Im ehemaligen Stallbereich ist heute ein rustikaler Veranstaltungsraum für Feste. Im Außengelände wird altes landwirtschaftliches Material gezeigt. Alle Beschriftungen sind zweisprachig. Auf einem kleinen Acker werden typische Feldfrüchte zur Demonstration angebaut. „Regelmäßig kommen Kindergartenkinder, um praktische Feldarbeit aus dem 19. Jahrhundert kennenzulernen.“
Neben der Pflege des sorbischen Brauchtums hat der Verein noch die Aufgabe, das Wirken des Volksschriftstellers Hanzo Njepila (1766-1856) zu würdigen. Für Nickel gleicht es einem Wunder, dass Njepila trotz harter Arbeit und Entbehrungen fast 90 Jahre alt wurde. Das Außergewöhnliche an diesem Mann sei außerdem, dass er sich als einziger Bauer in der Region damals autodidaktisch Lesen und Schreiben beibrachte und als Schriftsteller tätig war.
Durch die Schriften von Njepila im Schleifer Sorbisch erhält man heute Einblicke in die bäuerliche Lebensweise in Rohne im 18. und 19. Jahrhundert. Es entstanden über 30 Hefte, von denen noch fünf Handschriften erhalten geblieben sind. Der Großteil seiner Handschriften wurde Hanzo Njepila bei seiner Bestattung mit in das Grab gelegt und gingen somit verloren.