Modellregion für grenzüberschreitende Energiewende

Agnieszka Spirydowicz hat eine Vision: In zehn Jahren ist die Lausitz ein Zentrum für erneuerbare Energien in Europa. „Es ist eine Energieregion und die soll es auch bleiben, aber eben in Zukunft nicht mehr mit Abbau und Verstromung von Kohle.“ Doch der Weg dahin ist noch weit.

Die Präsidentin der polnischen NGO „Zklaster“ engagiert sich für die Energiewende und die Transformation der Wirtschaft auf Grundlage von Grünem Wasserstoff unter Nutzung von Windenergie und Photovoltaik.  Zklaster hat seinen Sitz in Zgorzelec, dem polnischen Teil von Görlitz. Es ist nicht nur eine NGO, sondern gleichzeitig ein Netzwerk und Verbund von vielen Partner*innen aus Organisationen, Kommunen, Unternehmen, Investoren und Start-ups mit derzeit über 100 Mitgliedern. Die 25 Mitarbeitenden von Zklaster beraten und unterstützen die Mitglieder, um die Energiewende zu beschleunigen.  „Polen ist das Land in der EU, das die meiste Kohle verbrennt“, betont Agnieszka die Dringlichkeit.  Als Ausstiegsdatum für die Energiegewinnung durch Kohle hat die polnische Regierung für die Region rund um Bogatynia das Jahr 2044 festgelegt. „Viel zu spät“, kommentiert Agnieszka, die Zklaster 2017 mitgegründet hat. „Ich bin auch überzeugt, dass das früher passieren wird.“

Energie ist ein profitabler Wirtschaftszweig – mit Kohle in der Vergangenheit und mit erneuerbaren Energien in der Zukunft, erläutert Agnieszka.  „Der Ausstieg aus der Kohle bietet so viele Perspektiven und alle können davon profitieren.“ Jeder könne in Photovoltaik oder neue Heizungen investieren. Es entstehen Start-Ups und neue Arbeitsplätze rund um erneuerbare Energien. „Die Transformation zu einer fossilfreien Energieregion hat hier schon vor 40 Jahren begonnen“, so Agnieszka. „Arbeiteten damals etwa 20000 Menschen im Kohlesektor, so sind es heute noch 3500.“

„Erneuerbare Energie und Wasserstofftechnologie werden nicht viel billiger werden“, erläutert die 40-Jährige. „Aber fossile Energien werden teurer werden. Das sehen die Menschen jetzt schon bei ihren Strom- und Heizkostenabrechnungen. Wir erklären den Menschen, dass wir eine Energiewende brauchen.“ Damit Polen die von der EU vorgegebenen Klimaziele erreicht, will das Land auf Atomenergie setzen. Für Agnieszka ist es zu spät, jetzt mit dieser Technologie in Polen zu beginnen. „Es ist viel zu teuer und es dauert viel zu lange, bis Atomkraftwerke ans Netz gehen können. Mit den erneuerbaren Energien können wir auch ohne Atomkraft fossilfrei werden.“

Mit ökologischen Argumenten erreiche man die Menschen in Polen dagegen schwer. Agnieszka formuliert es überspitzt: „Viele Menschen in Polen sehen die Klimaerwärmung eher positiv, denn dadurch könne man ja Heizkosten sparen.“ Überflutungen dagegen seien weit weg und beträfen die Menschen nicht direkt. Auch dass der Grundwasserspiegel durch den Kohleabbau im Umkreis des Tagebauloches dramatisch sinkt, interessiere kaum jemanden. „Polen sind sehr egozentrisch“, so die engagierte Frau über ihre Landsleute. Deshalb müsse man ihnen ihre persönlichen Vorteile, die sie durch die Umstellung auf erneuerbare Energien haben, bewusst machen.

Dabei geht es nicht nur um Klimaneutralität und Umweltschutz, sondern vor allem um positive Einflüsse auf die Region. Sie berichtet von einer dramatischen Abwanderung aus dem Powiat Zgorzelecki (Kreis Zgorzelec) seit Jahrzehnten.  Aber rund um erneuerbare Energien können so viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Als Beispiel nennt sie Elektromobilität und Erzeugung von grünem Wasserstoff. „Ich habe mittlerweile zehn Mitarbeitende aus Wrocław. Noch pendeln sie, da sie nicht in diese Region ziehen wollen, aber Teil dieses einzigartigen Projekts sein wollen. Aber das wird sich ändern“, ist die engagierte Frau überzeugt. Auch sie selbst stammt aus Wrocław und ist lange gependelt bzw. hat remote gearbeitet. Jetzt hat sie den Schritt gewagt, ist in die Oberlausitz in ein kleines Dorf in der Nähe von Zgorzelec gezogen und ist begeistert. „Es gibt mehrere Familien aus Wrocław oder Warschau, die in den kleinen Ort gezogen sind“, freut sie sich. Gerade im Bereich erneuerbare Energien und entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette entstehen viele Arbeitsplätze für hochqualifizierte Fachkräfte. „Das braucht doch diese Region.“ Wenn sich Agnieszka für die Region rund um Bogatynia engagiert, denkt sie europäisch. „Ich möchte ein Modell für eine grenzüberschreitende Energiegemeinschaft in Europa schaffen, die Vorbild für andere EU-Regionen werden kann.“

Agnieszka Spirydowicz ist nominiert für den „Woman in Energy Award“, der auf der European Sustainable Energy Week (EUSEW) vom 20. bis 22. Juni in Brüssel verliehen wird. Agnieszka Spirydowicz gilt als eine Expertin für die Nutzung von Solar-, Wind- und Wasserstoffenergie in der von Kohle dominierten Region Polens. Sie ist die einzige Frau im Beirat der Nationalen Kammer der Energiecluster, kombiniert soziales und technisches Fachwissen, um den Wandel in der traditionell von Männern dominierten Energiebranche voranzutreiben“, heißt es in der Begründung.

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